Germanistik

Über den Unfug einer Literatur-Wissenschaft

Selbstverständlich kann man Literatur wissenschaftlich erklären. Auch bei einem Drama lässt sich bestimmen, was wozu ausgesagt wird, wie es begründet wird oder nicht. Man kann den allgemeinen Begriff der so ermittelten Stellung bilden, und auch das spezifische Verhältnis der dichterischen Darstellungsmittel zum Zweck des Dichters lässt sich festhalten — soweit vorhanden. Und was weiß man dann? Aus dem richtigen Begriff des Staats mag ja einiges folgen, aber was folgt auch dem richtigen Begriff Schillers?

Man kann die wissenschaftliche Befassung mit der Literatur nämlich genauso gut lassen. Genauer: Literatur ist so ziemlich das Letzte, wo man sich vernünftigerweise um Erklärungen zu bemühen hätte. Die Kunst ist schließlich die Sphäre der selbstbewussten theoretischen Willkür. Sie macht zwar die Prätention gewichtiger Botschaften, stellt deren Mitteilung aber nicht auf Begründung, sondern auf subjektive Betörung und Vereinnahmung ab. Bei ihrer Produktion wie Rezeption regiert die Beliebigkeit des Vorstellens. Warum überlässt man dann den Umgang mit Gedichtetem nicht dem privaten Geschmack der Interessenten?

In der Literaturwissenschaft wird das Geschmacksurteil — der freie Vergleich eines literarischen Machwerks mit der beliebigen Verfasstheit des auf den Genuss von Einbildungen gestimmten Subjekts — ebenso prinzipiell wie falsch kritisiert. Noch jedem an Literatur Interessierten gefällt ja der hochgestochene moralische Unsinn in dichterischer Form, mit dem sie in der Schule und durchs Fernsehen konfrontiert werden. Daran missfällt der Literaturwissenschaft, dass die Hochachtung vor der Literatur gänzlich in das subjektive Belieben fällt. Mit „Textanalyse“ sowie einem Haufen von Hinter- und Vordergründen, Bedingungen sowie Wirkungen des „Werks“ tritt sie an, um die Notwendigkeit der Liebe zur Literatur aus dieser „Sache“ zu begründen. Dieses Unterfangen geht freilich an der Literatur ebenso vorbei wie an der Wissenschaft. Wie der Dichter die Aufnahmebereitschaft für seinen Glauben schon voraussetzen muss, damit ihm Reim und Dialog als passende Übermittlungsmethoden erscheinen, so setzt die Literaturwissenschaft ihren Interpretationen immer schon ihren Glauben voraus: die prinzipielle Verbindlichkeit der Literatur überhaupt, vor der dann die einzelnen Dichtungen mehr oder weniger gut in Szene gesetzt werden. Und das stets aufs Neue, damit ,,wir“ uns wieder den „Zugang“ zu einem literarischen Wert verschaffen, der ,,uns“ sonst abhanden käme. Deshalb geht die Institution Literaturwissenschaft gar nicht als Wissenschaft. Eine solche nämlich ist irgendwann mit ihrem Gegenstand fertig und würde garantiert nicht nach mehr als 150 Jahren immer noch den vieltausendfachen Schweiß der Edlen vergießen. Aber wer würde „uns“ dann die ehrwürdige Herkunft etwa „unseres“ schwarz-rot-grünen Naturbegriffs aus dem 18. Jahrhundert nahe bringen?

Eben. Dichter pflegen das elitäre Selbstbewusstsein derjenigen, die im Gegensatz zur Alltagsmoral der gewöhnlichen Leute vom Höheren und seinen Drangsalen so richtig ergriffen werden, weshalb sie unbedingt schrecklich durchgestaltete Verlautbarungen ans Publikum erlassen müssen, damit diese prosaischen Existenzen mal an die wahren Werte erinnert werden. Literaturwissenschaftler verdoppeln dieses elitäre Selbstbewusstsein, indem sie sich tausend Hinsichten ausdenken, wodurch jene Verlautbarungen (relativ) berechtigt waren. Sie predigen keine Ideologie, aber sie betreuen, rubrifizieren und versehen mit Rechtfertigungsgründen jede, die in gesetzten Worten vorgetragen wird. Also jede, die es gibt.

Und: ist nicht das das einzige Bedürfnis nach einer Literatur-Wissenschaft? Ist die Verantwortung, mit der die Germanistik sich brüstet, nicht dasselbe wie jene elitäre Selbstgefälligkeit?

Argumente gegen die Germanistik I

Argumente gegen die Germanistik II

Zu Goethes Faust

Die folgende Vortragsabschrift beschäftigt sich mit der Kunst des Dichtens und lässt die letzten 300 Jahre deutschen Dichtens Revue passieren – ohne an ihr ein gutes Haar zu lassen. Der ursprüngliche Titel suggerierte eine allgemeine Abhandlung über DIE Kunst, das ist jedoch nicht der Fall. Deswegen wurde die Überschrift dem Inhalt angepasst – und hier untergebracht, und nicht der Kategorie „Kunst“ subsumiert.

300 Jahre Drangsale – 300 Jahre bürgerliche Dichtkunst

Intro

 

Vortrag

Die Gebrüder Mann, Vortrag 1981